Einer der Gründe, warum ich mich für die Darstellung eines Dänen aus der Handelsstadt Haithabu entschlossen habe, ist der sehr gut erhaltene und dokumentierte Fundkomplex der archäeologischen Ausgrabungen.
Eines der essentiellen Kleidungsstücke ist das Hemd bzw. die Untertunika. Sämtliche Hemdfragmente aus Haithabu bestehen aus mittleren bis gröberem Wollstoff in Tuchbindung (Leinwandbindung), mit ca. 5-10 Kett- bzw. Schussfäden auf 1cm Stoffbreite (das Verhältnis von Kett- zu Schussfäden schwankt im Schnitt von 1:1 bis 2:1). An einigen Hemdfragmenten konnte die Färbung mit Walnussschalen nachgewiesen werden. Zum Zusammennähen diente ein feines, gezwirntes Wollgarn.
Gewebe der Hemdfragmente in Nahaufnahme,
Quelle: Inga Hägg, die Textilfunde aus dem Hafen von Haithabu
Bisher ist kein komplett erhaltenes Hemd aus dem Fundkomplex von Haithabu bekannt, sodass man für die Rekonstruktion eines Schnittes auf einzelne Fragmente zurückgreifen muss.
Grundsätzlich lassen die gefundenen Stoffreste auf ein sehr eng geschnittenes, körperbetontes Gewand schließen, dessen Umfang durch Abnäher zusätzlich geschmälert wurde. Die Schulterstücke waren mit Nähten verbunden. Ebenso waren die Ärmelausschnitte weit eingezogen, interessanterweise gibt es jedoch keinen Fund eines Ärmelfragments das dem Hemd zugeschrieben werden kann.
Von besonderer Bedeutung für die Rekonstruktion eines Schnittmusters sind vor allem die Fragmente 18 und 55A.
Fragment 18 bildet ein großes erhaltenes Stück des Oberteils eines Hemdes. Interessant ist auch der aufgenähte Stoffstreifen (b), der an einen Besatz erinnert. Anhand dieses Stückes kann man vor allem Rückschlüsse auf den Halsausschnitt ziehen. Dieser war weit und tief, Hinweise auf eine geschlitzte Öffnung gibt es soweit keine.
Fragment 18, das Oberteil eines Hemdes,
Quelle: Inga Hägg, die Textilfunde aus dem Hafen von Haithabu
Fragment 55A stellt ein relativ gut erhaltenes Stück des unteren Schurzes der Tunika dar. Er besteht aus einem trapezförmigen Stoffstück, das wiederum aus zwei trapezförmigen Stücken zusammengefügt wurde (b+c). An beiden Seiten des großen Trapezes ist jeweils ein dreieckiges Keilstück angenäht worden (a+d). Besonders interessant ist hierbei die schlitzförmige Öffnung an der Nahtkante von Teil c und d, die als eine Tasche/Eingriff gedeutet werden können. Das winzige Teil-Fragment e unterstützt diese These, es könnte zum Verdecken des Schlitzes gedient haben.
Aufgrund der Maße des Trapezstückes schließe ich auf einen Schurz, der abwechselnd aus je vier trapez- und dreieckförmigen Stoffstücken zusammen genäht wurde. Ob es ein oder zwei Taschenöffnungen gab (links und rechts), lässt sich heute nicht mehr feststellen.
Fragment 55A, Teil eines Tunika-Schurzes,
Quelle: Inga Hägg, die Textilfunde aus dem Hafen von Haithabu
Wie bereits erwähnt gibt es keine Funde von Ärmelfragmenten. Auch die Überreste von Ärmelausschnitten sind so fragmentarisch, dass sich keine Rückschlüsse auf das Aussehen dieses Trachtenteils ziehen lassen. Nicht unwahrscheinlich wäre auch, dass das Unterhemd überhaupt keinen Ärmel hatte.
Aus dem Fundkomplex der Hafen-Textilien aus Haithabu ist ein relativ gut erhaltenes Ärmelfragment dokumentiert (Fragment 57), dieses gehört jedoch nachweislich eher zu einer Obertunika, was vor allem anhand der Bindungsart des Gewebes zu erkennen ist (Gleichgratköper, 2/2). Der Ärmel besteht aus drei Teilstücken (a-c), das Ärmelende ist ca. 6cm eingeschlitzt. Diese Öffnung könnte im Originalzustand entweder zugenäht worden sein oder ist ein beabsichtigtes Detail (vielleicht um besser in das enge Gewand schlüpfen zu können?).
Rekonstruktionszeichnung des Ärmelfragmentes 57,
Quelle: Inga Hägg, die Textilfunde aus dem Hafen von Haithabu
Anhand der beschriebenen Fragmente lässt sich so ein Rekonstruktionsvorschlag zum Haithbau-Hemd erstellen:
Das Oberteil wird eng anliegend geschneidert mit abgeschrägten Schultern und tiefen Ärmelansätzen. Der Halsausschnitt wird relativ groß sein und deshalb keinen Schlitz zeigen. Die Ärmel werden genau wie Fragment 57 geschneidert (mit Außnahme der Bindungsart), der Schlitz bleibt offen. Der Schurz aus 4 Trapezen und 4 Dreiecks-Keilen fängt ca. ab dem Baunabel an und geht bis etwa zur Mitte der Oberschenkel, es gibt einen Tascheneingriff.
Das Oberteil wird eng anliegend geschneidert mit abgeschrägten Schultern und tiefen Ärmelansätzen. Der Halsausschnitt wird relativ groß sein und deshalb keinen Schlitz zeigen. Die Ärmel werden genau wie Fragment 57 geschneidert (mit Außnahme der Bindungsart), der Schlitz bleibt offen. Der Schurz aus 4 Trapezen und 4 Dreiecks-Keilen fängt ca. ab dem Baunabel an und geht bis etwa zur Mitte der Oberschenkel, es gibt einen Tascheneingriff.
Beginn der Rekonstruktion:
Um eine wie oben bezeichnete Tunika herzustellen benötigt man vor allem eins – Stoff. Diesen möchte ich nicht kaufen, sondern am meinem Gewichtswebstuhl selbst herstellen. Bisher habe ich ca. 2 Kilo Wollgarn mit Walnussschalen gefärbt, das dumme ist nur, dass das Garn gezwirnt ist, die Gewebe aus Haithabu aber allesamt aus einfachen Fäden gewebt wurden. So bleibt mir nichts anderes Übrig, als in mühsamer Arbeit sämtliches Garn mithilfe einer Bohrmaschine aufzudrillen, zusammenzufilzen und wieder aufzuwickeln. Bisher habe ich so schon mehrere hundert Meter Wollknäuel „hergestellt“, der Prozess wird sicher aber noch ein Weilchen hinziehen.
Garn, Garn, Garn, Garn, Garn…
Hui, das kling noch nach einer Menge Arbeit. Ich bleib dann doch lieber beim Spinnen statt Bohren ;) Ist aber auf jeden Fall eine Idee. Bin mal auf die weitere Entwicklung (im wahrsten Sinne) gespannt :)
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
Drui
Hallo Drui,
AntwortenLöschenschön zu sehen, dass tatsächlich jemand mitliest :-)
Tja, was den Aufwand angeht hast du recht, die nächste größere Anschaffung wird auch ein Spinnrad sein, bis dahin wird gebohrt bis der Akku raucht :-)
Grüße, Sven